Münchner Wahn - jetzt JEDEN Montag

tl;dr: Montagsdemo in München in kurz: Frieden für alle, schuld am Krieg ist das „Zinsgeld“, Faschismus ist nur in anderen Ländern schlimm. Dazu reichen wir: Seifenblasen und Nazis von NPD bis NSU-nah.

Nu war von den Mahnwachen/Montagsdemos doch schon so einiges zu lesen. Ken Jebsen alias KenFM wird in dem Zusammenhang oft erwähnt. Videos seiner Reden gibt’s auf youtube zuhauf. Kurzer Blick gen Facebookseite des Guten: weit über 100.000 Fans, Bildsprache wie aus dem Lehrbuch zum Thema Antisemitismus. Auch interessant in diesem Zusammenhang: die nahezu gleichlautenden Kommentare welche kürzlich in Massen die Onlineauftritte aller möglichen TV-Sender, Zeitungen und Co fluteten. Von einer „Verschwörung der Medien“ war da zu lesen. Beliebte Begriffe wie „politische Korrektheit“, „Gehirnwäsche“, „Propaganda“ uswusf wurden verwendet. Und wer in diesem www (sollte ich lieber „Weltnetz“ schreiben? Ach wurscht) so rumtönt, trifft sich nun also montags zur Mahnwache bzw. Montagsdemo. Angeblich sollen sich ja sogar Nazis, stadtbekannte wohlgemerkt, auf der Münchner Ausgabe dieser Montagsdemo rumtreiben. Na, das macht doch neugierig, also nix wie hin da.

Montag, 19.05.2014, Sendlinger Tor, München, kurz vor 18:00 Uhr.. Schönstes Frühlingswetter, die Cafes proppevoll. Der Platz am Sendlinger Tor füllt sich langsam. Es ist nicht klar erkennbar, wer nun diese „Montagsdemo“ besuchen will, wer Tourist ist, wer einfach nur neugierig. Vielleicht 100 Menschen, von jung bis alt, plauschen gemütlich und beobachten die Veranstalter beim Aufbau ihres Equipments und die Polizei beim gemütlichen Umherschlendern. Gesprächsfetzen lassen sich vernehmen. Direkt vom Plausch aus dem Unileben geht es über ein „Die Medien werden alle fremdgesteuert“ direkt zum „Also bei mir kam im Wahl-O-Mat zur Europawahl DIE LINKE vor der AfD raus“. Na, das verspricht ja heiter zu werden. Am Rande macht sich eine kleine Gegenkundgebung bemerkbar. Es werden Israel- und eine USA-Flagge geschwenkt, ein Großteil hat sich selbstgebastelte Aluhüte aufgesetzt. Die Stimmung ist gelöst bis heiter. Der Platz füllt sich langsam.



Mit Verspätung wird die Veranstaltung eröffnet. Kurzer Auszug der sehr wirren Rede: „Wozu brauchen wir 14 Mrd Essen wenn wir nur 7Kommairgendwas Menschen haben?“. Nunja. Wer genau hingehört hat, der bekam auch recht schnell zu hören, was bei Mahnwachlern als seriöse Quelle gilt: die „DEUTSCHE WIRTSCHAFTS NACHRICHTEN.“. Gelten nun nicht unbedingt als seriös um nicht zu sagen: Die Meldungen sind meist so falsch, dass nicht mal das Gegenteil richtig ist. Aber bringt Klickzahlen und damit Geld. Weiter im Text. „Für mich gibt es kein links und rechts, sondern nur vorwärts“. Jubel, Applaus. Dazu passte die Ankunft mehrerer stadtbekannter Nazis, darunter: Karl Richter, sitzt für die so genannte „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ im Stadtrat, ist NPD-Vize. Vanessa Becker, Bewohnerin des „Braunen Haus“. Gilt als NSU-nah. Philipp Hasselbach , kürzlich aus der Haft entlassen. Gilt für das „Freie Netz Süd“ laut Medienberichten als persona non grata (nein, nicht mit Käse überbacken). Die einzigen, welche sich am auftauchen der Nazis störten waren oben erwähnte Gegendemonstranten. Die Teilnehmer der Mahnwache? Von „mir wurscht“ bis Handschlag. Spricht auch für sich, wird im weiteren Verlauf der Veranstaltung noch so richtig witzig.

Mit Gesängen und Reden ging es dann auch weiter. Während es zu einem kleineren Gerangel gab, da die Gegendemonstranten eben erwähnten Hasselbach am fotografieren hindern wollten, kam dieses „leidige links/rechts-Thema“ auf der Bühne zur Sprache, samt des Themas Gegendemonstranten. Auszüge? Gern: „Wir lassen uns nicht spalten“, „Wer nach links und rechts unterscheidet der will in Wirklichkeit nur spalten und spricht aus seinem eigenen verbohrten Weltbild“, „Links und rechts ist egal, lasst uns alle gemeinsam an einen Tisch setzen“. Also spontan fallen mir zwei Fußballvereine ein bei denen das in der Fanszene super geklappt hat, dieses „an einen Tisch setzen“ mit den Nazis. Fragt nach in Aachen, in Braunschweig ….weiter im Text. Nachdem die Gegendemonstranten, welche ja die Frechheit besaßen/besitzen auf Nazis samt Anknüpfungspunkten hinzuweisen, endlich als „Spalter“ entlarvt wurden, kann ja zum Gegenangriff übergegangen werden. „Diese kleine Gruppe zeigt, wes Geistes Kindes sie ist. Sie wollen spalten! Dies ist nur eine kleine Gruppe Verblödeter die gegen die Mehrheit ist! Wir aber sind die Mehrheit. Wir wollen gehört werden und lassen uns nicht von einer Minderheit die Meinung diktieren“. Also ich würd jetzt gern Demokratieverständnis für 500 kaufen. Gab es da nicht mal mehrere Parteien, bzw. gibt es noch, die Mitbestimmung auf allen Ebenen und zwar für alle fordern? Vielleicht doch keine so gute Idee? Gefühl welches einen auf einer Veranstaltung wie dieser unweigerlich beschleicht. Aber das nur als kurzer Einwurf.

In der Zwischenzeit wackelte ein Plakat an mir vorbei. Zitat: „Sophie Scholl hat gesagt: Geht auf die Straße“. Nu wird die Gute ja gern mal instrumentalisiert. Vor allem Michael Stürzenberger und seine Islamfeinde rund um die Kleinstpartei „Die Freiheit“ versuchen dies immer wieder, vor allem mit ihrer viel beschworenen „Neugründung der Weißen Rose“. Mindestens ebenso fragwürdig auf mehreren Ebenen dieses Plakat gestern. Gandhi und Brecht werden ebenso bemüht mit alt bekannten Zitaten. Zitate, ohne Kontext…ach, ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Der Beitrag hier wird so schon lang genug und wer mag kann sich ja gern schlau machen. Ist aufgrund der heutigen Möglichkeiten ja recht einfach. Ah, wo wir gerade dabei sind: „DIE LEITMEDIEN SIND SCHULD“. Na endlich, hab ich ja schon die ganze Zeit darauf gewartet. Für so etwas mag ich ja Runden mit offenem Mikro. Und bekanntlich zählt diese Schuldzuweisung gen Medien ja bei den Montagsdemos zum Konsens. Nahezu keiner der Redner kam ohne ein „DIE MEDIEN SIND SCHULD/FREMDGESTEUERT“ in verschiedensten Varianten aus. Inklusive Hinweis auf „informiert euch woanders“. Wo denn dieses „woanders“ nu genau ist brauchte nicht weiter gefragt werden. DWN wurde soeben erwähnt, KenFM ebenso, Andreas Popp wurde zitiert. Hach, die creme de la creme der Selbstreferentiellen also. Wer die Medien steuert? Na, „die da oben“ natürlich. Wir hier unten gegen die da oben. So einfach. So verkürzt. So doof. Schon gewusst, dass „die Medien“ verschweigen, dass Merkel und Co. „mit Nazis zusammen arbeiten“? Jaha, was man nicht alles so lernt. NPD-Richter stand währenddessen grinsend vor mir. Störte keinen der selbst ernannten Selbstgerechten. Sagt auch viel.

Wofür es ebenfalls viel Applaus, gar Jubel gab? Für den Hinweis jeden zweiten Redners darauf, wer wirklich schuld sei an Krieg und Co.: „Das Zinsgeldsystem“. „Die da oben“, sie steuern die Banken, die Notenpressen, erpressen den kleinen Mann mit der „Zinsgeldpolitik“, und wer dagegen aufbegehrt muss um sein Leben fürchten. Dies habe sogar „einem US-Präsidenten das Leben gekostet“. Nachfragen ob JFK gemeint ist wollte ich nu nich. War mir krude genug das ganze. Von BWL/VWL habe ich nun nicht so viel Ahnung, aber es reicht doch, um den Kopf zu schütteln. Interessant ist eher das Bild, welches hinter diesen „Machern des Geldes“ steckt. Reicht geschichtlich sehr weit zurück, der Spaß. Stichworte: Zinsverbot im Alten Testament und im Mittelalter, Beschränkung der aus dem sonstigen Wirtschaftsleben ausgeschlossenen Juden auf das Geldgeschäft, Brunnenvergiftungs- und ähnliche Vorwürfe an Juden, durch so ausgelöste Pogrome schuldenfrei werden auf die „bequeme“ Art. Ach und die Sache mit dem "schaffenden" und dem "raffenden" Kapital...wer mag, Suchmaschine der Wahl. Konkreter wurde übrigens keiner der Redner. Vielleicht weil der Hinweis auf DIE ROTHSCHILDS zu offensichtlich gewesen wäre? Oder ist es einfach Unwissenheit, die aber wenigstens ganz laut? Nun, einer der Sänger wurde da dann doch direkter. Ein Hans Söllner-Song (danke für den Hinweis btw) wurde kurzerhand textlich leicht angepasst und schon kam, direkt aufeinander folgend, heraus: „Freiheit für Palästina. Schluss mit dem Krieg im heiligen Land. Nazi bleibt Nazi, egal welcher Mord“. Na, wer stellt die Verbindung selbst her? Lauter Jubel, tosender Applaus. Mir war übel.



Bezug auf aktuelle Ereignisse wurde natürlich auch genommen. Unter lautem Jubel wurde die „Erklärung der Republik Donezk“ vorgelesen. Nu kenn ich mich wahrlich nicht gut genug in diesem Konflikt aus, um mich dazu zu äußern. Allerdings durchaus interessant ist der fortlaufende Hinweis auf „ukrainische Faschisten“. Müssen schlimm sein, diese ausländischen Faschisten. Wahrlich so schlimm, dass man diejenigen, die auf die einheimischen Exemplare hinweisen, mit scharfen Worten geißelt. So schlimm, dass man die eben erwähnten Exemplare, die direkt vor einem stehen, entweder ignoriert, mit Handschlag begrüßt oder gleich umarmt und einlädt, mit einem am Tisch zu sitzen. Obiges Bild kommt erst richtig schön zur Geltung, wenn keine 5 Meter daneben Vanessa Becker, Karl Richter, Philipp Hasselbach und Co stehen. Sich angeregt mit anderen unterhaltend. Grinsend.

Abgerundet wurde das Bild noch von einem Redner, welcher von „Schämträils“ sprach. Jaha, die Regierung will uns vergiften. Funktionieren aber nur bei gutem Wetter, diese Chemtrails. Bei schlechtem Wetter wird das ganze ausgewaschen und ein Aluhut hilft sogar. Dieser Redner wurde immerhin nach wenigen Sätzen von der Bühne komplimentiert. Nachtrag 21.05.2014: Auf Facebook kam der Hinweis, dass es sich beim Redner um einen Antifa-Aktivisten handelte, der die Veranstaltung auf die Art und Weise trollen wollte Wie auf Twitter nachzulesen war, sind bei den Mahnwachen in Frankfurt/Main die Reden eine Woche vorher einzureichen. Schade, bei solchen Perlen. Nun möchte ich manch Redner wahrlich nicht seinen guten Willen absprechen, wenn er/sie von Frieden spricht. Allerdings ist es doch faszinierend zu sehen, wie einfach doch manch Lösung erscheint. Am Krieg sind schuld: Fracking, Öl, Zinsgeld, „Schämtrails“, „die da oben“, „die Mächtigen“, Faschisten (nur ausländische bitte, die aus eigener Produktion sind liep und toll, oder so). Was unter anderem hilft – hier wieder ein Zitat von gestern: „Geht’s wählen, wählts ungültig“. Soso, die Legende vom „ungültig wählen“ hält sich also weiterhin. Nun, interessant zu sehen, wie laut hier vermeintliche „Wahrheiten“ herausposaunt wurden und wie einfach doch alles sein muss, mit den Feindbildern „die da oben“, „die Mächtigen“, Zinsgeldsystem“. Aber ist das nicht ein wenig anstrengend, hinter jedem Busch Obama, Blair, Merkel zu vermuten? Ach, ich will das alles gar nicht so ganz nachvollziehen können. Es reicht zu sehen, auf wen laut brüllend gezeigt wird, und wer oder was keinerlei Erwähnung wert ist.
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