Samstag, 8. November 2014
Von November bis November

Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl. Es wird schlandweit gefeiert, dass da ein Sprecher der SED sich am 09. November 1989 in nem Interview verhaspelte , was ja dann die bekannten Folgen hatte. An historisch vorbelastetem Datum wird also gefeiert und nicht überall kann man sich verkneifen, gleich mal die Fackeln auszupacken. Was ja dann auch irgendwie passend ist. Tradition muss gelebt werden und so. Dazu noch ein „selbst ernannter Bürgerrechtler“, welcher nicht müde wird zu betonen, wo denn der Feind steht: links. Wie wichtig dieser Hinweis ist, zeigte ja dieses Jahr recht deutlich mit Veranstaltungen wie der “HoGeSa“ und der ständigen Wiederholung der „Das Boot ist voll“-Rhetorik. Ist ja nicht so, dass einem dies aus den Jahren nach 1989 nicht bekannt vorkommen würde. Und immer wieder muss ich daran denken, wie denn mein persönliches 1989 war.

Vom verschwinden und einem geplanten „Urlaub“

Was mir vom Sommer 1989 noch in Erinnerung blieb sind Ereignisse, deren Bedeutung mir erst beim Blick zurück klar wurde. Kunstsück, denn ich feierte damals gerade meinen 9. Geburtstag. Aufgewachsen bin ich in einer ostthüringischen Kleinstadt. Gut, dass mit dem wachsen ließ ich bereits recht früh bleiben und die Erwähnung des Ortsnamens würde jetzt auch vermutlich eher zu zum Fragezeichen geformten Gesichtern führen. Während des Sommers kam es immer wieder vor, dass Freunde einfach verschwanden. Diese wären umgezogen, hieß es damals. Und auch meiner Mutter ihr damaliger Freund verschwand auf einmal. Hinterher wurde mir erklärt, dass dieser sich auf den Weg gen Prager Botschaft gemacht hatte. In den Fernsehbildern von damals ist er auch mal kurz zu sehen. Das verschwinden des Freundes meiner Mutter führte auch zu Debatten im Familienkreis welche schlagartig verstummten, sobald ich in der Nähe auftauchte. Klar, der Kleine hätte sich ja verplappern können.

Während der Sommerferien dann, traditionell vom 01.07.1989 bis 01.09.1989, hieß es auch bei uns: Koffer packen. Urlaub in Ungarn wurde mir gesagt. In den Genuss eines Auslandsurlaubs kam ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das höchste der Gefühle waren Ausflüge an die Ostsee. Also ab in den himmelblauen Trabant des Großvaters mütterlicherseits und ab nach Dresden. Dort gings dann mit Sack und Pack mit Mutter und kleiner Schwester ab in den Zug. War die Fahrt durchs nächtliche Dresden schon unheimlich genug für mich, so trug die Nervosität meiner Mutter nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Zitternd und schwitzend ließ diese die Grenzkontrollen über sich ergehen. Ich verhielt mich ruhig, wusste ich mit der Situation auch nicht so wirklich umzugehen. Über die damalige Tschechoslowakei ging es dann nach Budapest. Eine echte Großstadt also, und das sogar mit einem nicht zu kleinen Fluss. Das wir dann für über ein Jahrzehnt in der Nähe dieses Flusses leben sollten, wenn auch ein paar hundert Kilometer weiter, wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

Wie es genau von Budapest aus weiter ging, kann ich heute nicht mehr genau sagen. Der Schock darüber allerdings, was meine Mutter mir bei einem Bushalt auf einer grünen Wiese gestehen sollte, blieb mir gut in Erinnerung. Rotz und Wasser heulte ich, als sie gestand, dass aus dem Urlaub wohl nichts werden würde. Denn endlich in Österreich angekommen war nun auch der Zeitpunkt gekommen „..ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise...“...neinhalt, das war später. Und galt nicht für uns. Denn wir waren bereits in Österreich. Und während einer kurzen Rast wurde ich auch eingeweiht in den Plan, in den Westen auszureisen. Raus aus dem alten Freundeskreis, raus aus der gewohnten Umgebung und ab in den Westen. Wir waren nun auch „Flüchtlinge“, wie es damals hieß. Und erster längerer Halt war für uns in einer Bundeswehrkaserne in Weiden. Also gar nicht mal so weit vom Ausgangspunkt unserer Abfahrt entfernt, nur mit etwas Umweg. Die erste Wohnung fanden wir dann in einem kleinen niederbayerischen Dorf. An Land und Leute sollte ich mich erst nach einigen Jahren gewöhnen. Es war nicht nur die Sprachbarriere, welche mir etwas zu schaffen machte. Allerdings wurden wir, rückblickend betrachtet, doch sehr herzlich aufgenommen. Hilfsbereit waren sie, die Bayern. Und doch gibt es so einiges, welches im Rückblick doch zu denken gibt.

Von Flüchtlingen und Geschichtsunterricht

Sehr oft spiele ich im Kopf dieses „was wäre wenn“-Spiel durch. Was wäre wohl passiert, wären wir nicht Flüchtlinge aus (einem anderen) Deutschland gewesen. Was wäre gewesen, wären wir nicht der Sprache mächtig gewesen (mal abgesehen vom durch die Einheimischen gepflegten Dialekt)? Was wäre gewesen, wären wir ähnlich behandelt worden, wie heutzutage Flüchtlinge gern behandelt werden, insbesondere wenn diese als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gelten. Was wäre gewesen, wären wir Schwarze gewesen und in dieses Westdeutschland geflohen? Denn nicht nur die Ereignissen Anfang des auf unsere Flucht folgende Jahrzehnt sollten zeigen, wie weit es mit der so genannten „Willkommenskultur“ hierzulande her ist. Auch heute gelten Angriffe auf Menschen und Einrichtungen in denen diese leben bereits wieder als alltäglich und nur die schlimmsten Auswüchse schaffen es zu überregionaler Bekanntheit. Ich bin froh darum in einer friedlichen Zeit geboren zu sein und in diesem Land. Stolz darauf bin ich nicht, denn schließlich habe ich dazu keinen eigenen Beitrag geleistet. Aber es ist ja wieder en vogue, stolz zu sein auf den Zufall welcher einen hierzulande das Licht der Welt erblicken ließ. Dies schließt dann automatisch jene aus, bei denen dies eben nicht der Fall war. Saß ich 1989 noch mit feuchten Augen vor dem TV und sah dort jubelnde Menschen mit Deutschlandfahnen, sorgt dies heute eher für Bauchgrimmen bei mir. Etwas was interessanterweise dafür sorgt, dass mir desöfteren der Stempel „Linker“ aufgedrückt wird. Fehlt eigentlich nur noch, dass ich jetzt Vertreter der Partei selben Namens wählen würde, nicht wahr?

Würde mir allerdings im Traum nicht einfallen. Und bevor jetzt irgendwer mit „Ha, Mauerschützen-Partei“ oder ähnlichem daherkommt: nee, daran liegts nicht. Ginge es danach, sähe es bei den für mich wählbaren Parteien sowieso ganz duster aus. Neben der SED, der Ausgeburt des Bösen, dem „Drachenblut“, gab es nämlich noch andere Parteien , welche allerdings nach der „Wende“ nahezu vollständig in den Westparteien aufgingen. Und so sitzen Abgeordnete in den Vertretungen welche fleißig mit der SED stimmten, gar beispielsweise das Tiananmen-Massaker ausdrücklich begrüßten , aber heute sich gar lautstark empören über Politiker welche eben nicht über eine solch illustre Vergangenheit verfügen. Bezeichnend, dass nun die „Blockflöten“ von damals jemandem zujubeln, der nicht sie als „den elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden ist“ bezeichnet . Wäre es jetzt gar zu bös die Parteien so zu bezeichnen, bei denen es nach 1945 kein Problem war vom Amts- und Würdenträger der NSDAP in hohe Ämter der Bundesrepublik „umzusatteln “? Ja, ich halte die Debatte für verlogen. Ja, die Linke kann und muss kritisiert werden. Und wenn heut ein Mitglied dieser Partei, welches sich vor wenigen Wochen noch an „Pro Palästina“-Demos beteiligte, sich vor mich hinstellt und behauptet, dass er ja „in 20 Jahren PDS/Die Linke noch keinen Antisemitismus in der Partei erlebt“ hat, dann zeigt dies für mich, dass die Kritik ganz woanders ansetzen muss. Ja, genau das ist einer der Gründe, die diese Partei für mich unwählbar machen und nicht irgendwelcher „Unrechtsstaat “-Quatsch.

Feindbilder, gut erhalten, abzugeben

Allgemein lässt sich festhalten, dass die Debatten im Moment sich nicht so wirklich mit der Realität in Einklang bringen lassen, welche ich erlebe. Da wird ganz groß ein Stichwortgeber gefeiert, welcher sich selbst gern als „DDR-Bürgerrechtler“ sieht. Durch ständige Wiederholung wird das zwar auch nicht richtiger, dass er „Bürgerrechtler “ war, aber immerhin gilt dies ja mittlerweile scheinbar als Fakt. Wird wohl auch irgendwann, fürchte ich, so in den Geschichtsbüchern stehen. Ebenso wird vermutlich der „Mut“ eines Liedermachers gefeiert werden. Der Mut desjenigen, der nach unten tritt also. Sehr deutsch. Als gegeben hinnehmen muss ich scheinbar, dass dieses nach unten treten auch diejenigen einschließt, die man aus der Gesellschaft möglichst heraushalten will. Je nach Gusto, können das andere Bevölkerungsgruppen sein. Juden , wenn mal wieder Israel um die eigene Existenz kämpft. Muslime , wenn mal wieder radikale Gruppen frei drehen. Und „der“ Ausländer geht ja eh immer. Alles Dinge, worüber sich kurz empört wird. Natürlich nur über diejenigen, welche sich dem aktiv entgegen stellen, was ja eh schon eine verschwindend geringe Minderheit ist. Oder über diejenigen, die solch Dinge benennen. Weil das stört ja die deutsche Behaglichkeit beim Fähnchenschwenken. Welches sowieso ganz gern mal in den Wind gehängt wird.

An Europas Außengrenzen sterben Menschen, welche nicht durch Zufall hier geboren wurden und es wird gefeiert, dass es hierzulande keine Mauer mehr gibt. Während gleichzeitig die um die Festung Europa immer höher gezogen wird versteht sich. Wer es trotzdem hierher schafft, der wird schon mal durch die Straßen gejagt , von Behörden wahlweise verarscht oder schikaniert, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen, für die dadurch bedingte Ausgrenzung verantwortlich gemacht. Wer von Grundrechten Gebrauch macht, wird medienseits diffamiert, auf den wird zum Halali geblasen, Adresse samt Telefonnummer veröffentlicht. Während sich gleichzeitig über blaue Häkchen empört wird. Da fällt mir übrigens ein, dass schon lange nicht mehr zur Hatz auf Arbeitslose und sonstige Empfänger staatlicher Transferleistungen geblasen wurde. Ging vermutlich nur an mir vorbei, weil zählt wie all die anderen aufgezählten Punkte vermutlich zu den Dingen, die man hierzulande als gegeben hinnehmen muss. Das möchte ich nicht, fühle mich aber in der momentanen Parteienlandschaft auch nicht so wirklich gut aufgehoben oder repräsentiert. Und ob all dies die Freiheit ist, in die die Flucht 1989 führen sollte, wage ich auch leicht zu bezweifeln.
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Mittwoch, 5. November 2014
Ritter in güldener Rüstung und ganz viel Blech


Ghostbusters aus dem Fanblock


Ein Gespenst geht um. Dieses Gespenst kommt aus dem österreichischen Fuschl am See, stellt Getränke her und verkauft diese in winzigen Dosen zu völlig überzogenen Preisen. Nebenbei engagiert sich dieser Getränkehersteller im Sport. Die Palette des Engagements reicht hier von Extremsport bis im-Kreis-fahren und wird dort seitens der Zuschauer scheints recht gern gesehen. Zumindest werden Artikel über irgendwelche Kleinstflugzeuge mit rotem Stier als Aufdruck recht gern verbreitet und entsprechende Ausschnitte erreichen auf einschlägigen Videoplattformen leicht höhere Klickzahlen. Doch ein wackeres kleines Dorf namens Fußball widersetzt sich gar tapfer dem Ansturm aus Österreich (hier bitte irgendeinen Spruch mit „Kleinbonum“ einsetzen. Obwohl…vielleicht doch nicht. Das mit dem Zaubertrank könnte sonst leicht missverstanden werden).


Sauron trinkt Saft aus gar schrecklich gemeuchelten Gummibärchen


Die Rollen scheinen klar verteilt: auf der einen Seite steht er, der „Feind“. Gar schröcklich wütet er unter den Traditionsvereinen und zerstört alles, was auch nur annähernd mit so genannter Fußballfankultur in Verbindung gebracht werden kann. Gut, was nun sonderlich erhaltenswert ist daran, landauf landab exakt dasselbe Liedgut zum Besten zu geben und alle Stadien mit einem einschläfernden Klangteppich zu überziehen, erschließt sich mir nicht so ganz. Aber wenigstens sind diese Fanszenen doch ach so kreativ, wenn es um Protest geht. Und, zugegeben, Tiervergleiche sind ja auch wirklich neu und kreativ. Als wäre der Projektname „Rasenballsport Leipzig“ nicht bereits Verballhornung genug wird jetzt also von „Rattenball“ gesprochen. Der böse Feind, die Ratte. Von Ungeziefer ist also die Rede, welchem es mithilfe des tapferen Fans zu Leibe zu rücken gilt. Die Stilisierung des Fans selbst als „Schädlingsbekämpfer“.

Gut, wer die Schulzeit nicht komplett fröhlich schnarchend verbracht hat, dem dürfte jetzt bei den Bildern die da beschworen werden etwas aufgefallen sein. Wer sich von der Fixierung des Geschichtsunterrichtes in der Schule auf die Zeit rund um den kleinen schnurrbärtigen Österreicher nicht abschrecken lässt, noch weiteres. Aber die Verwendung antisemitischer Stereotype ist doch nicht so gemeint, es geht ja schließlich gegen das ultimativ Böse. Und was diese Wissenschaftler da erzählen stimmt ja eh nicht weil es ist ja nicht so gemeint und man selbst kein Nazi (was nebenbei nie jemand behauptet hat. Aber Strohmänner sind halt schon was Feines.) Und außerdem lenkt diese Debatte ja bekanntlich auch nur vom wahren Problem der Traditionsvereine ab: dem Getränkehersteller samt Anhang.


Hobbitse mit Fahnen


Nun, vielleicht lässt sich ja der Eigentümer des Leipziger Rasenballsportvereins davon beeindrucken, dass Fans des Gastvereines nicht in sonst üblicher Anzahl erscheinen. Genau an diesem Punkt wird es spätestens dann witzig, wenn Fans eines Münchner Vierzahlenvereines in das Boykott-Geschrei einsteigen. Schließlich war es die Grünwalder Straße, welche dank Investoreneinstieg vor gar nicht all zu langer Zeit in die Schlagzeilen geriet. Und „investorenkritische Fans“? Waren vorher gar tapfere Ritter in güldener Rüstung, wurden während des Investoreneinstieges versucht aus dem Stadion zu prügeln, sind jetzt wieder gar tapfere Ritter….weil ihr Investor ist ja ganz anders. Der ist ja ein Guter. Warum eigentlich genau? Weil er nicht gar so dreist beim umgehen von 50+1 war? Weil dieser Investor Vereinsname samt Logo (noch?) unangetastet ließ? Weil sich nur so begründen lässt, dass man sein Fähnchen doch ganz gern in den Wind hängt und mit der Masse blökt?

Man weiß es nicht und will es vermutlich gar nicht so genau wissen. Von der viel gerühmten Kreativität bleibt da im Protest nicht viel übrig. Von in sich stimmigem Handeln ist man ebenfalls meilenweit entfernt. Dabei gäbe es so viele Punkte, die Investorenprojekte wie beispielsweise das in Leipzig oder das Münchner angreifbar machen. Der genauere Blick auf den Umgang aller Beteiligten mit 50+1, das hinterfragen manch dubioser Kontakte, das Gebaren auf dem Transfermarkt, Mitgliederstruktur/Umgang mit selbigen uswusf. Aber solange man sich lieber darauf beschränkt, ganz laut zu krakeelen sobald der Projektname nur erwähnt wird und noch lauter zu plärren, wenn in den eigenen albernen und unsachlichen Chor nicht auf exakt die gleiche Art und Weise eingestimmt wird ist nicht einmal daran zu denken, auch nur ansatzweise ernst genommen zu werden.
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Montag, 27. Oktober 2014
von Hools, Fans und Wutbürgern
HoGeSa, Hooligans gegen Salafisten, nannte sich der Spaß da gestern in Köln. Es sind jedoch nicht mal die Teilnehmer und der Ablauf der Demo selbst die dafür sorgen, dass der Kopf sich in rhythmischen Schlägen langsam mit der Tischplatte vereint.


Das sind keine Fußballfans!!ELF!!DRÖLF!!!


Obige Aussage ist sehr interessant. Die Mobilisierung lief länder- und szeneübergreifend, und das auch noch sehr offen. Das Motto „In den Farben getrennt, in der Sache vereint“ dürfte jetzt dem fußballaffinen eher nicht unbekannt sein. Und selbst für Ungeübte und eher szeneferne (lies: mich *hüstelt*) war es ein leichtes innert kürzester Zeit die Beteiligung der eigenen Fanszene an der Aktion festzustellen. In homöopathischer Dosis zwar, aber bei einer nicht besonders großen und für ihren Mobilisierungsgrad jetzt wahrlich nicht berühmten Fanszene wie der des TSV 1860 München jetzt auch nicht unbedingt zu vernachlässigen. Als Fußballfan sollte man sich also nichts vormachen und zugeben, dass Fußballfans nicht nur fleißig mit mobilisiert haben, sondern auch vor Ort waren. Zu dem, was Innenminister und sonstige Lautsprecher da jetzt gern draus machen würden, später mehr.

Das fast schon mantraartig hervorgetragene „Das sind keine Fußballfans“ bewirkt allerdings zweierlei. Stellen wir uns jetzt einfach mal ein Fußballspiel, und hier genauer: einen Fanblock, vor. In diesem Fanblock: Nazis die sich n Fußballspiel anschauen. Als Nazis sind diese, vor allem für „Ungeübte", also Menschen denen bestimmte Szenecodes jetzt nicht so bekannt sind, nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Klar, die Schriftart der Tättowierungen wirkt seltsam verschnörkelt, die Sprache etwas martialisch. Aber, mei, das gehört halt zum Fußball: „Assi sein“. Wer sich schon etwas länger mit dem Thema beschäftigt, dem dürften die Codes auffallen, dem ist vielleicht sogar bekannt, dass diese Fans auf Nazi-Aufmärschen herumspringen, gar selbst als Anmelder funktionieren und dem fallen rassistische Sprüche auf, die für den „Normal-Fan“ halt dazugehören, da sie eben „normal“ sind. Den Nazis im Block also, die man auch auf Fanfesten und Auswärtsfahrten sieht, spreche ich nun das Fan-sein ab. Was bewirkt dies? Solidarität. Mit den Nazis. Der politisch eher desinteressierte Fan solidarisiert sich folglich mit dem so „Angegriffenen“. Und was im kleinen, dem Fanblock, schon nicht funktioniert, soll jetzt also im Großen, sprich HoGeSa, funktionieren?

Die angesprochene Solidarität wird allerdings mit dem „Das sind keine Fußballfans“ denjenigen verweigert, die sich, teils seit Jahrzehnten, mit den Nazis in den Blöcken beschäftigen: Ultras, Faninitiativen,... Denn wenn es heißt „Das sind keine Fußballfans“, gibt es ja folglich auch kein Problem mit Nazis. Weil schließlich sehen Linke ja „hinter jedem Baum nen Nazi“. Schließlich fantasieren Linke und Grüne nur eine Gefahr von rechts herbei. Die Zeitspanne zwischen einem der größten Nazi-Aufmärsche, die Deutschland jemals gesehen hat und oben genanntem war übrigens recht kurz. Es beginnt bereits wieder, das relativieren. Und es ist schon faszinierend zu sehen, wie schnell sich das alles wiederholt. Als linke Ultras aus den Braunschweiger Fanblöcken geprügelt wurden, war das ja schließlich deren Schuld. Hätten sie mal lieber die Klappe gehalten über die Nazis in den eigenen Fanblöcken. Müßig jetzt hier weitere Vereine aufzuzählen, in denen Hools versuchten eine positive Entwicklung rückgängig zu machen: die Verdrängung von Nazis aus den Stadien, bedingt vor allem durch das Entstehen einer Ultrakultur welche sich großteils als links begreift.


Die Einsatztaktik der Polizei hat funktioniert, wir müssen nur härter gegen Fußballfans vorgehen


So lassen sich die Aussagen der Verantwortlichen bei der Polizei und in der Politik kurz zusammenfassen. Ob die Einsatztaktik der Polizei funktioniert hat sei einmal dahin gestellt, wenn bei Tausenden gewaltbereiten Demo-Teilnehmern weniger Polizei vor Ort ist als bei einem Freundschaftsspiel zweier Fußballteams deren Fans eine Fanfreundschaft verbindet. Man sei also überrascht worden, von der schieren Anzahl der Teilnehmer. Auch toll, weil ist ja nicht so, als wäre die Mobilisierung im verborgenen abgelaufen. Bei Facebook waren es weit über 7000 Zusagen (bei knapp 60.000 Eingeladenen) und, wie bereits weiter oben beschrieben, wurde länder- und szeneübergreifend mobilisiert. Selbst bei mir, der von einer aktiven Fanszene meilenweit entfernt ist, ploppte da gelegentlich was am Bildrand auf. Um da schnellstmöglich den Mantel des Schweigens drüber zu legen, wird also mit dem Finger auf andere gezeigt: auf Fußballfans.

Faszinierend daran ist, dass man jahrelang nichts anderes tat als diejenigen zu verteufeln, die eben maßgeblich dazu beitrugen, dass Nazis sich in den Fankurven eher unwohl fühlen: die bereits beschriebenen Ultras. Ein abgebrochener Scheibenwischer eines vor einem Stadion geparkten Fahrzeuges sorgte da schon mal für einen Großeinsatz von Polizei samt Schlagstock, Pfefferspray und Mediengeschrei von „eine(r) neue Dimension der Gewalt“ (eine Floskel, die auch jetzt wieder bemüht wird). Für das Stolpern über nen Mülleimer gibt es da mal eben einen Eintrag in die „Datei Gewalttäter Sport“ deren Daten dann wieder dazu benutzt werden, noch mehr Polizei vor und in den Stadien zu rechtfertigen welche dann auch mal ein „Nacktzelt“ aufbauen. Könnte ja n Fan ne Sturmhaube mit in Stadion schmuggeln. Und der DFB? Hält rote Kärtchen für ne gute Idee. Ja, davon sind dann die, die gern mal auf alles einprügeln was nicht ins Weltbild passt bestimmt beeindruckt.


Echte und unechte Fans und der Wutbürger


Zwei Seiten scheinen sich gegenüber zu stehen: zum einen die, die abstreiten, dass es sich um Fußballfans handeln könnte, zum anderen die, die das Problem gern in die Fanecke stellen. Nun ist das natürlich sehr bequem für beide Seiten. Die eine streitet ab, dass es Fußballfans waren, und wäscht sich damit rein, die andere wiederum wäscht die Gesellschaft rein weil es handelt sich ja um eine Randgruppe: Fußballfans. Und die waren ja angeblich nicht beteiligt oder es sind keine „echten Fans“, riefen nur dazu auf und verbreiteten auf allen Plattformen Infos zu dieser Veranstaltung.
Nun ist es wahrlich nicht so, dass bei HoGeSa nur Fußballfans beteiligt wären. Die üblichen Verdächtigen von ProNRW bis „Die Rechte“ mischen kräftig mit und dass Applaus von pi-News und Co kommt, ist nun auch nicht weiter verwunderlich. Klar scheint aber, dass es sich bei all dies nur um Hirngespinste irgendwelcher Linker und Grüner handelt. (Bis zu diesem Reflex hats ja echt nicht lang gedauert *Applaus*). Für Gelächter schallenderweise sorgten dann Aussagen, dass es sich bei Nazi-Gewalt um ein „neues Phänomen “ handelt. (Hallo liebe GdP <3)

Nur kurz, da der Beitrag hier eh schon zu lang wird: Oktoberfest-Attentat, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, NSU,... . Die Reihe ließe sich jetzt beliebig fortsetzen,. Dass nahezu wöchentlich ein Anschlag auf eine Synagoge, eine Moschee oder eine Geflüchtetenunterkunft verübt wird, ist ja mittlerweile auch schon fast wieder Alltag. Blickt man auf aktuelle Studien(Vorsicht, isn pdf) , und hier auf die Zahl derer, die über ein gefestigtes rechtsextremes Wetlbild verfügen, wird’s langsam gruselig. Nimmt man noch diejenigen dazu, die ja „nur“ etwas gegen andere Gruppen haben, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, wird’s beängstigend. Denn es sind bei weitem nicht nur Nazis, die mit „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ gern Stimmung gegen Minderheiten machen. Und bei weitem nicht nur Fußballfans. Denn, hier schließt sich der Kreis, Menschen mit menschenverachtendem Gedankengut befinden sich mitten unter uns, und nicht in irgendwelchen Randgruppen.


Und nu?


Ob man wohl endlich zur Einsicht gelang, dass es auch unter Fußballfans Nazis gibt und davon nicht wenige? Vielleicht gibt es ja hier etwas, wo man ansetzen könnte. Beispielsweise mit Unterstützung derer, die sich da engagieren. Soll ja nicht wenige geben, die hier aktiv sind und über das entsprechende know how verfügen. Nur „wir halten jetzt ein rotes Kärtchen hoch“ oder „kommt, wir malen n hübsches Spruchband“ greift doch ein wenig arg kurz. Ein „Nazis raus“ ist schnell gebrüllt. Fühlt man sich ja gleich besser danach. Obs hilft? Wohl eher weniger, wenn die Mechanismen der Ausgrenzung weiter greifen. Wenn es weiter in den Kurven akzeptiert ist, dass man halt auf Schwule/Lesben/Schwarze/Juden/... schimpft, weil beim Fußball das „eben dazu gehört“. Von Politik, die im Stadion angeblich nichts verloren hätte will ich erst gar nicht beginnen. Denn die, die sich gern darüber beschweren, dass Politik im Stadion nichts verloren hätte und die sich darüber beschweren, dass die bösen Linken die Politik ins Stadion tragen würden, waren gestern in nicht unerheblicher Zahl in Köln. Die Erkenntnis, dass es sich um ein Problem der Gesamtgesellschaft, und nicht nur von Fans handelt, könnte auch greifen und endlich aufgehört werden mithilfe von Begriffen wie „Deutschenfeindlichkeit“ und „Linksextremismus“ diejenigen zu kriminalisieren, die sich dagegen engagieren.

Andererseits könnte auch weiter vorgegangen werden wie bisher. Zum einen das Problem allein auf Randgruppen schieben. Waren ja nur Nazis. Die sind ja eh alle eher von geringer Intelligenz und tragen Bomberjacke und Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln. Wer dies nicht tut, ist auch kein Nazi. Waren ja nur Fußballfans, da hilft Repression, mehr Polizei, mehr Überwachung. Waren ja keine Fußballfans, also kümmert ihr euch darum. Weil WIR haben ja kein Problem. Zum anderen könnte auch wieder auf Linke und Grüne geschimpft werden und vermeintliche „Linksextremisten“ und die „Sorgen und Ängste des deutschen Volkes“ beschworen werden. Ich bin gespannt, wie das ganze sich weiter entwickelt, rechne aber mit zweiterem. Alles wie immer.
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