Aufstand der Anständigen

Kurzer Rückblick:
Mitte 2014 zieht ein mehrtausendköpfiger Mob durch München und zeigt, in welchem Gewand die Ritualmordlegende heutzutage daherkommt. „Kindermörder Israel“, „Kriegstreiber Israel“; „Zionisten sind Faschisten“ wird skandiert. Der größte antisemitische Aufmarsch in München seit den großen Erfolgen aus den Tagen der „Hauptstadt der Bewegung“. Aufstand der Anständigen? Der Gegenprotest war zu zehnt. Ende des Jahres entsteht dann aus den allwöchentlichen Auftritten der rassistischen Kleinstpartei „Die Freiheit“, welche Münchner Plätze immer wieder an ihrem Wissen über „die“ Muslime teilhaben lässt, der Münchner Ableger von Pegida. Gegenprotest? Gar Aufstand der Anständigen? Feiert sich selbst mit viel Prominenz, lässt sich anschließend nicht mehr blicken.

Spätsommer 2015. Züge mit Geflüchteten erreichen München. Die Aussteigenden werden mit Klatschen, Jubeln, Geschenken empfangen. Tausende Münchner spenden oder melden sich freiwillig. Noch immer engagieren sich viele Münchner, versuchen zu helfen. Pegida München gibt es immer noch, ist auch deutlich angewachsen von einem versprengten Häuflein zu einer Teilnahme von regelmäßig ca. 250 Rockern, Hools, Rassisten. Auch „Die Rechte“ beehrt München gelegentlich, bleibt dabei allerdings im niedrigen zweistelligen Bereich an Teilnehmern. Gegenprotest? Die üblichen Verdächtigen. Die selben, die bereits in der Flüchtlingeshilfe aktiv waren oder sind. Die gleichen, die seit Jahren bereits sich den Rassisten entgegen stellen.

Februar 2016. Es haben bereits über 100 Angriffe auf Unterkünfte von Schutzsuchenden stattgefunden. Dabei wurden unter anderem Gasflaschen eingesetzt. Es randaliert der Mob auf den Straßen, werden Menschen angegriffen, welche nicht weißdeutsch genug aussehen. Das nicht ganz unwichtige Wort „Rassismus“ findet sich in Meldungen der Presse allerdings nicht. Allerorten wird verniedlicht. Von „Asylkritikern“ ist die Rede, gar von „Islamgegegnern“. Das Thema Gewalt, wenn sie nicht von Deutschen begangen wurde, beherrscht die Schlagzeilen, die Talkshows, die TV-Nachrichten. Das Feuilleton ereifert sich lieber darüber, dass es doch wirklich noch Menschen gibt, die sich dem entgegen stellen, die ihre Stimme erheben. Von einem von Altenbockum oder ähnlichen Kalibern fange ich lieber erst gar nicht an. Aufstand der Anständigen? Statt sich vor die zu stellen, die angegriffen werden, sei es verbal oder körperlich, wird sich darüber beschwert, dass das Ansehen Deutschlands im Ausland gelitten habe. Es wird darüber debattiert, Schutzsuchenden noch mehr Steine in die Wege zu legen.

Auch bei Gegenprotesten zu rassistischen Aufmärschen hier in München wird der Ton rauer. Familienväter debattieren darüber, ob Pegida und „Die Rechte“ überhaupt Rechte sind. Ältere Männer bejubeln und beklatschen die Aufmärsche. Gegendemonstranten werden als „Zecken“ beschimpft, als „Ungeziefer“, als „schlimmer als die Nazis“, als „kommunistische Arschlöcher“. Es kommt immer wieder fast zu Handgreiflichkeiten, wenn geifernde weiße Männer ihrem Hass auf Linke oder vermeintliche Ausländer freien Lauf lassen. „Wir sind mehr als die“ ertönte und ertönt es noch immer wieder frohlockend aus linken Kreisen, wenn ein Rassistenaufmarsch unter den Erwartungen blieb. Der Ausruf übersieht den Aufstand der Anständigen, welcher sich noch(!) nicht traut, mitzumarschieren. Der geforderte Aufstand der Anständigen, er ist da. Im Gewand des hässlichen Deutschen, versteht sich. Man ertappt sich bei dem Wunsch, der Aufstand der Anständigen wäre ausgeblieben. Man ertappt sich beim Wunsch, die Anständigen hätten die Fresse gehalten. Was bleibt, ist die Flucht in Sarkasmus und Zynismus und die vollkommen unrealistische Flucht in Träumereien von eigener Flucht in ein Land, welches nicht so deutsch ist. Es bleibt die Flucht in die innere Emigration.
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