Dienstag, 4. September 2012
Ausflug zu den Piraten
Für alle, denen das gleich zu lang wird, mal die Kurzfassung: Eingetreten bei den Piraten im Dezember 2011, ein wenig hier, ein wenig da mitgemacht, ausgetreten Ende August diesen Jahres. Zu den Gründen für den Austritt zählen unter anderem der Umgang miteinander, der mangelnde Willen bzw. die Fähigkeit zur Selbstkritik, der Piraten-Pluralismus, das bigotte Verhalten, etc. et al. (Nein, der twitternde Pirat selbigen Namens ist hier nicht gemeint).

Ja, ich habe längere Zeit gesucht, nach dieser passenden Partei. Meinte sie in der SPD gefunden zu haben nur um dann zu merken, dass so ein klüngelnder Altherren(und teils auch -damen-)verein dann doch nicht das Richtige für mich ist. Das top-down-Prinzip, nach dem man dort vorgeht, ist dann eher nicht so meins. Abnickveranstaltungen ebenfalls nicht. Und Delegiertensysteme und ähnliches habe ich dank meines Vereins eh gefressen. Eine relativ neue Partei mit vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten, welche nach eigener Aussage vom hierarchischen Prinzip anderer Parteien wenig hält, erschien mir da vielversprechend. Auch das – laut manch Medienberichten nicht vorhandene - Programm las sich recht interessant, und so kam es wie es kommen musste: Mitgliedsantrag ausgefüllt, abgeschickt, erst mal abgewartet.

Die Begrüßungsmail mit einigen Infos zu Stammtischen und Co. kam recht fix, der – eigentlich eher unwichtige – Mitgliedsausweis ließ etwas auf sich warten, was solls. Es folgten diverse Stammtischbesuche, Engagement mal hier mal da. In der Zeitung steht was von Stau bei der Bearbeitung von Mitgliedsanträgen? Gut, dann Datenschutzschulung und auf geht’s und versucht da mit Abhilfe zu schaffen. Ja, das mit diesem „du hast den Job“ geht recht schnell bei den Piraten. Der Beteiligungsmöglichkeiten gibt es mehr als genug, auch wenn man schnell mal den Überblick verlieren kann. Mailinglisten, ein Meinungsbildungstool namens Liquid Feedback (LQFB), das Wiki, Piratenpads, Mumble (Telefonkonferenzen) usw usf. Da den Überblick zu behalten fällt nicht immer einfach und es erfordert schon einen nicht zu unterschätzenden Zeitaufwand um sich einzuarbeiten in verschiedene Tools. Nicht jedem Mitglied ist es möglich diese Zeit aufzubringen, manch einer ist auch nicht unbedingt sonderlich technikaffin. Dies heißt es zu respektieren, eigentlich. Denn bereits hier, beim Umgang mit Neumitgliedern zeigt sich eine gewisse „Haltet den Dieb“-Mentalität.

Anstatt Initiativen die es sich zum Ziel gesetzt haben, Neumitgliedern den Einstieg zu erleichtern bzw. allgemein mehr Verständnis für bestehende Tools zu schaffen, zu unterstützen, sei es mit Arbeitskraft oder durch neue Ideen, werden lieber bestehende Tools als das ultimativ Böse verteufelt. Von sachlichem Austausch ist man da weit entfernt, was eher zu zählen scheint sind Köpfe die man gern fordert, weil $Pirat für LQFB eintritt oder eher dagegen ist. (Zur Info: in Bayern gibt es noch kein landesweites LQFB, soll aber angeblich bald eingeführt werden, ob es in der momentan herrschenden Stimmung auf Gegenliebe treffen wird ist mehr als fraglich). Überhaupt, der Umgang miteinander...ein Trauerspiel. Neumitglieder sind mit Sicherheit begeistert, wenn wieder einmal strukturelle Probleme innerhalb der Piraten auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

Gern bezeichnen die Piraten sich als nicht links und nicht rechts. Aus dem eindimenionalen Parteienschema wollen sie sich heraus halten....und merken dabei gar nicht, wer das alles für sich zu nutzen weiß. Oder sie wollen es nicht bemerken? Engagement gegen Ausgrenzung, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ja nicht einmal innerhalb der Partei Konsens. Wer dazu aufruft, sich den Verfechtern der Ausgrenzung und des gestrigen Gedankengutes entgegen zu stellen, der wird schnell niedergebrüllt. Entweder von der Fraktion derer, die gleich hinter jeglichem Engagement eine linksgrüngutmenschliche Verschwörung wittert und sofort zum NAZI-Gebrüll anhebt oder aber von der Fraktion derer, die sich lieber hinter dem herunter gezogenen Rollo versteckt. Auch sozialdarwinistisches Verhalten ist ihm nicht fremd, dem Piraten. Wer nicht arbeitet, der soll auch nix fressen. Und wer sich dann noch erdreistet ehrenamtlich zu arbeiten, erst recht nicht. Klar, mit dieser Haltung kann man wunderbar mit dem Strom mitschwimmen und spiegelt den gesellschaftlichen Konsens wunderbar wider. Aber bitte, liebe Piraten, versucht doch nicht Eure Haltung noch als irgendwie progressiv zu verkaufen.
Man kann bei einem Parteitag natürlich beschließen, dass Holocaustleugnung den Grundsätzen der Partei widerspricht. Ebenso kann man im Grundsatzprogramm von „Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit„ distanzieren und sie für „unvereinbar mit den Werten und Zielen der Piratenpartei“ halten. Wenn man sich dafür aber nicht einsetzen will und im Gegenteil diejenigen angreift, die sich dafür einsetzen entpuppt sich das ganze als Augenwischerei.

Es gab da kürzlich ein Twittermeme, #wirsindAliCologne hieß es. Ein Pirat wurde für seine Haltung in der Beschneidungsdebatte angegriffen. Nach seinem Auftritt im ZDF hagelte es (Mord-)Drohungen und ein abgeschnittenes Schweineohr fand sich in seinem Briefkasten. Unter den Piraten wurde sofort zu Solidarität aufgerufen und der Ruf nach Aktionen wurde laut. Eventuell entsteht hier sogar etwas nachhaltiges weitab vom Klicktivismus/Aktivismus der im Netz gern gezeigt wird. Andererseits stellte sich mir die Frage, wie denn nun innerhalb der Piraten damit umgegangen würde, wäre der Pirat nicht Angegriffener sondern Angreifer gewesen, also hätte selbst mit Sprüchen/Aktionen ausgrenzenderweise von sich reden gemacht. Nun, da muss man nicht lang suchen, denn der Beispiele gab es genug. Da werden sie laut, die Stimmen die da rufen „Er meint es ja nicht so...“, „Er ist nun mal so“, „Aber er tut doch so viel, arbeitet doch so gut,...“ und als Belohnung gibt es dann noch, neben der Relativiererei, ein Pöstchen wenns genehm ist. Und, wie kann es auch anders sein, natürlich ist derjenige zur Verantwortung zu ziehen, der auf Missstände hinweist, nicht derjenige der sie verursacht.

Ja, man scheint stolz zu sein auf seine Trolle, die man sich gern hält. Ist ja auch praktisch, so ein Troll. Kann man immer vorschicken, wenn wieder ein mal einer es wagt auf Missstände hinzuweisen, wenn mal wieder eine Äußerung eines Piraten, den man persönlich eh nicht leiden kann, durch die Medien geistert oder man sonst irgendwie eine Aktion plant die eher etwas von Heckenschützenverhalten hat denn von ernsthafter Politik. Dass jemand, der selbst zur Hexenjagd blies, kurz darauf einen Blogbeitrag veröffentlichte, in dem er von eigenen Erfahrungen mit Mobbing während seiner Jugend berichtete, ist da nur ein leidlich amüsanter Aspekt am Rande. Und das man wohlwissend, dass man das Problem nicht an der Dauer der Parteizugehörigkeit festmachen kann, trotzdem fortlaufend die Probleme auf die Neupiraten schiebt, ebenso. Bereits hier zeigt sich, dass man lieber Köpfe fordert als strukturelle Probleme in den Griff zu bekommen.

Zu den ungelösten strukturellen Problemen scheint auch das allgemeine Piratige Mandat zu zählen. Dieses sagt aus, dass “Wenn du eine Idee hast die nichts kostet und und positiv für die Partei ist, setze sie um!“ Im Grunde genommen kein so schlechter Ansatz, er lädt jedoch zu Missbrauch ein. Und was macht man innerhalb der Partei, ist dieser Missbrauch erst einmal geschehen? Richtig, Hexenjagd. Anstatt sich dem Problem dahinter zu widmen, wird auf Köpfe eingedroschen. Auf diejenigen, die bei der Schadensbegrenzung übers Ziel hinausschossen ebenso wie auf denjenigen, der dieses Mandat vielleicht doch etwas zu weit auslegte. Was so eine Hexenjagd bringt, außer verärgerter Mitglieder die ihre Zeit für sinnvolleres einsetzen könnten, wird wohl das Geheimnis der Piraten bleiben. Ebenso warum man unverzüglich zum nächstbesten Vorstand rennen muss um diesen mit möglichst vielen Wünschen, wie denn damit nun umzugehen ist und wessen Kopf zuerst rollen soll, zu belästigen. Diese „Klassensprecher, tu doch was“-Haltung passt nun eher mittelgut zu dem erklärten Ziel, für flachere Strukturen einzutreten. Aber mei, die Piraten eben. Man sollte sie vielleicht doch eher in „Die Bigotten“ umbenennen.

Die Medien, sie greifen natürlich gar dankbar das Stöckchen auf, das ihnen die Piraten hinhalten. Man kann zu den deutschsprachigen Medien nun stehen wie man will, aber diese verantwortlich zu machen für die selbst verschuldeten Probleme, das können mit dieser Vehemenz wohl nur die Piraten. Wer ist schuld wenn mal wieder ein Pirat wenig Durchdachtes von sich gegeben hat? Richtig, die Medien. Wer ist schuld wenn sich Piraten mal wieder gegenseitig die Köpfe einschlagen? Die Medien, die Bösen die. Dabei sind es doch die Piraten, die mit ihrem innerparteilichen Umgang, mit dem Umgang mit Fehlern selbstverschuldeterweise und ihrer Wagenburgmentalität eher an eine Sekte erinnern, denn an eine ernstzunehmende Partei.

Schade eigentlich, die Ansätze sind nicht die schlechtesten. Die Ideen teils auch nicht. Eine Partei mit vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten, die sich für Bürgerrechte einsetzt und das ganz ohne Sandförmchenklaustreitereien, das wärs.


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