Sonntag, 4. Oktober 2015
Refugees...und nu?!
Ja, auch ich habe die letzten Wochen als freiwilliger Helfer in München hier und da mit versucht anzupacken. Aber manchmal lohnt sich ein kleiner Schritt zurück um die Entwicklung zu beobachten die die Situation rund um Geflüchtete hierzulande so zu nehmen scheint. Da reicht dann die Palette der persönlichen Empfindungen von Wut über Verwunderung bis hin zu einem amüsierten Grinsen. Aber der Reihe nach.

München hat wahrlich beeindruckendes geleistet in den letzten Wochen. Hunderte freiwillige Helfer packten mit an, begrüßten Geflüchtete, gaben tonnenweise Spenden ab, verteilten diese, stellten sich als Dolmetscher zur Verfügung oder ähnliches. Dass es hier zu Misstönen kommen kann weil der ein oder andere meint, er müsste das Rad neu erfinden bleibt hier natürlich nicht aus, soll aber auch nicht das Thema sein. Interessant ist hier jedoch, was für ein Bild manch einer von Geflüchteten zu haben scheint oder was er meint, wie diese sich zu verhalten hätten. Sprachkurse oder Veranstaltungen für Geflüchtete schön und gut, aber Kurse über Körperhygiene? Weil der ausm Ausland das halt nicht kennt? Bezeichnend hier der desöfteren zu hörende Aufruf, man möge die Geflüchteten doch bitte auf Einhaltung einfachster Hygienevorschriften hinweisen, da diese das ja von daheim her nicht kennen. Auch scheint so manch einer unzufrieden darüber zu sein, dass der gemeine Geflüchtete sich nicht gar so dankbar zeigt, wie man es gern hätte. Empörung darüber, dass manch einer gar nicht in München oder gar Deutschland bleiben möchte sondern aus unterschiedlichsten Gründen weiterreisen, inklusive.

Die Polizei – wissen schon, „Freund und Helfer“ und so – wurde auch über den Klee gelobt. Gerade als Fußballfan mit einschlägiger Erfahrung in diesem Bereich weiß man, dass ein gesundes Misstrauen im Umgang mit der Polizei nicht nur angebracht, sondern auch unbedingt notwendig ist. Das Bild welches die Polizei zum Beispiel am Hauptbahnhof abgibt, bestätigt das noch. Rassistische Kontrollen unter die jeder fällt, der nicht weißdeutsch genug aussieht, unterschiedliche Behandlung von Menschen vor Ort je nach Hautfarbe, ein Verhalten im Umgang mit teils traumatisierten Personen welches, salopp gesagt, unter aller Sau ist und ähnliches sorgen aber immerhin dafür, dass Geflüchtete nun hautnah miterleben und lernen dürfen, wie mit ihnen hierzulande umgesprungen wird. Was die Polizei betrifft wurde hier anfangs ein völlig falsches Bild vermittelt und die Polizei bemüht sich nach Leibeskräften, dies wieder gerade zu rücken. Wurde mit Erstaunen vermeldet, wie gut doch die Zusammenarbeit mit den Helfern „aus überwiegend Antifa-Kreisen“ und der Polizei klappt, so sorgten hier die allmontäglich stattfindenden Aufmärsche des lokalen Pegida-Ablegers und das Verhalten der Polizei im Umfeld der Aufmärsche schnell für Ernüchterung.

Interessant auch, was aus „der Politik“ zu vernehmen ist. Merkels anfängliches „wir schaffen“ das mal außen vor, zeigen Seehofer, Söder, Oppermann und wie sie alle heißen für ein teils sarrazineskes Verhalten. Die Taktik Sarrazins kurz erklärt: Ich bombardiere mein Umfeld mit Zahlen, Statistiken und darauf basierenden Schlussfolgerungen, wer diesen nicht folgt ist Teil eines Systems, welches auf den „Volkstod“ abzielt. Und während sich noch über die rassistischen Entgleisungen des SPD-lers echauffiert wird, wird weiter mit „Fakten“ um sich geschmissen. Dass diese fachgerecht zerlegt wurden und keine einzige seiner Behauptungen einer näheren Übrprüfung stand hielt scheint ebenso in Vergessenheit geraten wie die Wortmeldungen derer, auf die Sarrazin sich bezieht. Was geblieben ist sind seine Behauptungen und Unterstellungen denen gegenüber, die er angriff. Das Gift konnte nahezu ungestört wirken und „Deutschland schafft sich ab“ findet und fand sein dankbares Publikum wie die zehntausenden Rassisten mehr als eindrucksvoll beweisen welche Woche für Woche durch Deutschland „spazieren“. Was das nun mit Seehofer und Co zu tun hat? Auch hier werden fortlaufend Behauptungen in die Welt posaunt wie zum Beispiel von angeblich eingeschleusten Terroristen oder Menschen die sich nicht integrieren wollen. Während hier die Empörung noch lautstark sich Bahn bricht, kommt bereits die nächste Forderung, zum Beispiel nach Grenzen, welche komplett geschlossen gehören, Grenzzäunen, schnelleren Abschiebungen und so weiter und so fort. Mit interessanten Folgen. Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl und weitere Eingriffe in die Rechte von Geflüchteten erscheinen dann zum einen nicht mehr so gravierend, denn sie sind dann ja immer noch besser als die Forderungen, die man ursprünglich in den Raum warf. Zum anderen nimmt die Debatte Zeit und Raum der vielleicht sinnvoller investiert wäre in Debatten darüber, wie man den Geflüchteten helfen könnte.

Denn ob Grenzzäune oder schärfere Regelungen, gar Streichung des „Taschengeldes“, Menschen in Not lassen sich davon mit Sicherheit nicht abhalten. Bezeichnend übrigens, welch Weltbild allein aus der Verwendung des Begriffes „Taschengeld“ spricht. Keinerlei Raum bleibt im Moment für die Debatte darüber, wie mit den oft traumatisierten Menschen umgegangen werden sollte und wie sich die aktuelle Behandlung der Geflüchteten – Unterbringung auf engstem Raum, ohne ausreichende sanitäre Einrichtungen, ohne Privatsphäre – auf ihren Zustand auswirkt. Stattdessen wird lieber mit dem Finger auf die Opfer der Behandlung und die Folgen gezeigt. Stichwort: Schlägereien in diesen menschenunwürdigen Unterkünften. Keinerlei Raum bleibt für Forderungen nach beispielsweise dezentraler Unterbringung oder nach der Schaffung sicherer Fluchtwege um weitere Tote zu verhindern. Wir erleben momentan ein vollständiges Versagen der Politik einer angeblich ach so fortgeschrittenen und führenden Industrienation. Es ist ernüchternd zu sehen, dass hier der Protest der so genannten Zivilgesellschaft auszubleiben scheint. Es ist schön zu sehen, dass diese sich versucht einzubringen wo der Staat versagt. Allerdings darf es nicht dabei bleiben. Durch die sarrazineske Politik fühlen sich viele derer, die ihren Rassismus sonst in den Kommentarspalten der verschiedenen Blätter und im so genannten social media ausleben, bestätigt. Auch hier sollte überlegt werden, wie der Selbstschutz derer organisiert werden kann, die sehr bald darauf angewiesen sein werden. Gesicht zeigen wird da bei weitem nicht ausreichen.
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