Samstag, 8. November 2014
Von November bis November

Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl. Es wird schlandweit gefeiert, dass da ein Sprecher der SED sich am 09. November 1989 in nem Interview verhaspelte , was ja dann die bekannten Folgen hatte. An historisch vorbelastetem Datum wird also gefeiert und nicht überall kann man sich verkneifen, gleich mal die Fackeln auszupacken. Was ja dann auch irgendwie passend ist. Tradition muss gelebt werden und so. Dazu noch ein „selbst ernannter Bürgerrechtler“, welcher nicht müde wird zu betonen, wo denn der Feind steht: links. Wie wichtig dieser Hinweis ist, zeigte ja dieses Jahr recht deutlich mit Veranstaltungen wie der “HoGeSa“ und der ständigen Wiederholung der „Das Boot ist voll“-Rhetorik. Ist ja nicht so, dass einem dies aus den Jahren nach 1989 nicht bekannt vorkommen würde. Und immer wieder muss ich daran denken, wie denn mein persönliches 1989 war.

Vom verschwinden und einem geplanten „Urlaub“

Was mir vom Sommer 1989 noch in Erinnerung blieb sind Ereignisse, deren Bedeutung mir erst beim Blick zurück klar wurde. Kunstsück, denn ich feierte damals gerade meinen 9. Geburtstag. Aufgewachsen bin ich in einer ostthüringischen Kleinstadt. Gut, dass mit dem wachsen ließ ich bereits recht früh bleiben und die Erwähnung des Ortsnamens würde jetzt auch vermutlich eher zu zum Fragezeichen geformten Gesichtern führen. Während des Sommers kam es immer wieder vor, dass Freunde einfach verschwanden. Diese wären umgezogen, hieß es damals. Und auch meiner Mutter ihr damaliger Freund verschwand auf einmal. Hinterher wurde mir erklärt, dass dieser sich auf den Weg gen Prager Botschaft gemacht hatte. In den Fernsehbildern von damals ist er auch mal kurz zu sehen. Das verschwinden des Freundes meiner Mutter führte auch zu Debatten im Familienkreis welche schlagartig verstummten, sobald ich in der Nähe auftauchte. Klar, der Kleine hätte sich ja verplappern können.

Während der Sommerferien dann, traditionell vom 01.07.1989 bis 01.09.1989, hieß es auch bei uns: Koffer packen. Urlaub in Ungarn wurde mir gesagt. In den Genuss eines Auslandsurlaubs kam ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das höchste der Gefühle waren Ausflüge an die Ostsee. Also ab in den himmelblauen Trabant des Großvaters mütterlicherseits und ab nach Dresden. Dort gings dann mit Sack und Pack mit Mutter und kleiner Schwester ab in den Zug. War die Fahrt durchs nächtliche Dresden schon unheimlich genug für mich, so trug die Nervosität meiner Mutter nicht unbedingt zur Beruhigung bei. Zitternd und schwitzend ließ diese die Grenzkontrollen über sich ergehen. Ich verhielt mich ruhig, wusste ich mit der Situation auch nicht so wirklich umzugehen. Über die damalige Tschechoslowakei ging es dann nach Budapest. Eine echte Großstadt also, und das sogar mit einem nicht zu kleinen Fluss. Das wir dann für über ein Jahrzehnt in der Nähe dieses Flusses leben sollten, wenn auch ein paar hundert Kilometer weiter, wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

Wie es genau von Budapest aus weiter ging, kann ich heute nicht mehr genau sagen. Der Schock darüber allerdings, was meine Mutter mir bei einem Bushalt auf einer grünen Wiese gestehen sollte, blieb mir gut in Erinnerung. Rotz und Wasser heulte ich, als sie gestand, dass aus dem Urlaub wohl nichts werden würde. Denn endlich in Österreich angekommen war nun auch der Zeitpunkt gekommen „..ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise...“...neinhalt, das war später. Und galt nicht für uns. Denn wir waren bereits in Österreich. Und während einer kurzen Rast wurde ich auch eingeweiht in den Plan, in den Westen auszureisen. Raus aus dem alten Freundeskreis, raus aus der gewohnten Umgebung und ab in den Westen. Wir waren nun auch „Flüchtlinge“, wie es damals hieß. Und erster längerer Halt war für uns in einer Bundeswehrkaserne in Weiden. Also gar nicht mal so weit vom Ausgangspunkt unserer Abfahrt entfernt, nur mit etwas Umweg. Die erste Wohnung fanden wir dann in einem kleinen niederbayerischen Dorf. An Land und Leute sollte ich mich erst nach einigen Jahren gewöhnen. Es war nicht nur die Sprachbarriere, welche mir etwas zu schaffen machte. Allerdings wurden wir, rückblickend betrachtet, doch sehr herzlich aufgenommen. Hilfsbereit waren sie, die Bayern. Und doch gibt es so einiges, welches im Rückblick doch zu denken gibt.

Von Flüchtlingen und Geschichtsunterricht

Sehr oft spiele ich im Kopf dieses „was wäre wenn“-Spiel durch. Was wäre wohl passiert, wären wir nicht Flüchtlinge aus (einem anderen) Deutschland gewesen. Was wäre gewesen, wären wir nicht der Sprache mächtig gewesen (mal abgesehen vom durch die Einheimischen gepflegten Dialekt)? Was wäre gewesen, wären wir ähnlich behandelt worden, wie heutzutage Flüchtlinge gern behandelt werden, insbesondere wenn diese als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gelten. Was wäre gewesen, wären wir Schwarze gewesen und in dieses Westdeutschland geflohen? Denn nicht nur die Ereignissen Anfang des auf unsere Flucht folgende Jahrzehnt sollten zeigen, wie weit es mit der so genannten „Willkommenskultur“ hierzulande her ist. Auch heute gelten Angriffe auf Menschen und Einrichtungen in denen diese leben bereits wieder als alltäglich und nur die schlimmsten Auswüchse schaffen es zu überregionaler Bekanntheit. Ich bin froh darum in einer friedlichen Zeit geboren zu sein und in diesem Land. Stolz darauf bin ich nicht, denn schließlich habe ich dazu keinen eigenen Beitrag geleistet. Aber es ist ja wieder en vogue, stolz zu sein auf den Zufall welcher einen hierzulande das Licht der Welt erblicken ließ. Dies schließt dann automatisch jene aus, bei denen dies eben nicht der Fall war. Saß ich 1989 noch mit feuchten Augen vor dem TV und sah dort jubelnde Menschen mit Deutschlandfahnen, sorgt dies heute eher für Bauchgrimmen bei mir. Etwas was interessanterweise dafür sorgt, dass mir desöfteren der Stempel „Linker“ aufgedrückt wird. Fehlt eigentlich nur noch, dass ich jetzt Vertreter der Partei selben Namens wählen würde, nicht wahr?

Würde mir allerdings im Traum nicht einfallen. Und bevor jetzt irgendwer mit „Ha, Mauerschützen-Partei“ oder ähnlichem daherkommt: nee, daran liegts nicht. Ginge es danach, sähe es bei den für mich wählbaren Parteien sowieso ganz duster aus. Neben der SED, der Ausgeburt des Bösen, dem „Drachenblut“, gab es nämlich noch andere Parteien , welche allerdings nach der „Wende“ nahezu vollständig in den Westparteien aufgingen. Und so sitzen Abgeordnete in den Vertretungen welche fleißig mit der SED stimmten, gar beispielsweise das Tiananmen-Massaker ausdrücklich begrüßten , aber heute sich gar lautstark empören über Politiker welche eben nicht über eine solch illustre Vergangenheit verfügen. Bezeichnend, dass nun die „Blockflöten“ von damals jemandem zujubeln, der nicht sie als „den elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden ist“ bezeichnet . Wäre es jetzt gar zu bös die Parteien so zu bezeichnen, bei denen es nach 1945 kein Problem war vom Amts- und Würdenträger der NSDAP in hohe Ämter der Bundesrepublik „umzusatteln “? Ja, ich halte die Debatte für verlogen. Ja, die Linke kann und muss kritisiert werden. Und wenn heut ein Mitglied dieser Partei, welches sich vor wenigen Wochen noch an „Pro Palästina“-Demos beteiligte, sich vor mich hinstellt und behauptet, dass er ja „in 20 Jahren PDS/Die Linke noch keinen Antisemitismus in der Partei erlebt“ hat, dann zeigt dies für mich, dass die Kritik ganz woanders ansetzen muss. Ja, genau das ist einer der Gründe, die diese Partei für mich unwählbar machen und nicht irgendwelcher „Unrechtsstaat “-Quatsch.

Feindbilder, gut erhalten, abzugeben

Allgemein lässt sich festhalten, dass die Debatten im Moment sich nicht so wirklich mit der Realität in Einklang bringen lassen, welche ich erlebe. Da wird ganz groß ein Stichwortgeber gefeiert, welcher sich selbst gern als „DDR-Bürgerrechtler“ sieht. Durch ständige Wiederholung wird das zwar auch nicht richtiger, dass er „Bürgerrechtler “ war, aber immerhin gilt dies ja mittlerweile scheinbar als Fakt. Wird wohl auch irgendwann, fürchte ich, so in den Geschichtsbüchern stehen. Ebenso wird vermutlich der „Mut“ eines Liedermachers gefeiert werden. Der Mut desjenigen, der nach unten tritt also. Sehr deutsch. Als gegeben hinnehmen muss ich scheinbar, dass dieses nach unten treten auch diejenigen einschließt, die man aus der Gesellschaft möglichst heraushalten will. Je nach Gusto, können das andere Bevölkerungsgruppen sein. Juden , wenn mal wieder Israel um die eigene Existenz kämpft. Muslime , wenn mal wieder radikale Gruppen frei drehen. Und „der“ Ausländer geht ja eh immer. Alles Dinge, worüber sich kurz empört wird. Natürlich nur über diejenigen, welche sich dem aktiv entgegen stellen, was ja eh schon eine verschwindend geringe Minderheit ist. Oder über diejenigen, die solch Dinge benennen. Weil das stört ja die deutsche Behaglichkeit beim Fähnchenschwenken. Welches sowieso ganz gern mal in den Wind gehängt wird.

An Europas Außengrenzen sterben Menschen, welche nicht durch Zufall hier geboren wurden und es wird gefeiert, dass es hierzulande keine Mauer mehr gibt. Während gleichzeitig die um die Festung Europa immer höher gezogen wird versteht sich. Wer es trotzdem hierher schafft, der wird schon mal durch die Straßen gejagt , von Behörden wahlweise verarscht oder schikaniert, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen, für die dadurch bedingte Ausgrenzung verantwortlich gemacht. Wer von Grundrechten Gebrauch macht, wird medienseits diffamiert, auf den wird zum Halali geblasen, Adresse samt Telefonnummer veröffentlicht. Während sich gleichzeitig über blaue Häkchen empört wird. Da fällt mir übrigens ein, dass schon lange nicht mehr zur Hatz auf Arbeitslose und sonstige Empfänger staatlicher Transferleistungen geblasen wurde. Ging vermutlich nur an mir vorbei, weil zählt wie all die anderen aufgezählten Punkte vermutlich zu den Dingen, die man hierzulande als gegeben hinnehmen muss. Das möchte ich nicht, fühle mich aber in der momentanen Parteienlandschaft auch nicht so wirklich gut aufgehoben oder repräsentiert. Und ob all dies die Freiheit ist, in die die Flucht 1989 führen sollte, wage ich auch leicht zu bezweifeln.
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